Eine analytische Betrachtung von Marcus John, Kunsthistoriker der Kunsthalle Recklinghausen
Hardy Gohari schafft Bilder. Gegenstand und Ziel seiner künstlerischen Arbeit ist das Bild. Aber anders als das traditionelle Tafelbild, welches ja das Produkt eines Malprozesses ist, – also von Farben, die meist mittels eines Pinsels von der Hand des Künstler auf eine hölzerne oder textile Oberfläche aufgetragen werden, um die Entstehung eines solchen Bildes einmal ganz nüchtern zu beschreiben – handelt es sich bei den Bildern von Hardy Gohari nicht um Malerei im klassischen Sinne. Gohari´s Arbeiten entstehen aus einem bildnerischen – fast möchte man schon sagen plastischen – Prozess heraus….
mehr…
| Der Künstler, der statt des Pinsels Werkzeuge wie Spachtel, Kellen und Schabeisen verwendet, baut seine Bilder in Schichten aus Farbe und unterschiedlichen Materialen wie Karton und Mörtelmasse, die übereinander gelegt werden. Dieser charakteristische Aufbau in Schichtungen lässt sich meist noch gut an den Bildrändern nachvollziehen. Es gibt aber auch immer aufgebrochene Stellen im Bild selbst, die dem Betrachter die Möglichkeit eröffnen, den vielschichtigen Arbeitsprozess nachzuvollziehen und in die Tiefen des Bildraumes Einblick zu nehmen. Gohari´s Arbeitsmethode ähnelt eher der eines Maurers, indem er Schicht auf Schicht legt, mit der Leinwand als Fundament. So haftet seinen Bildern etwas Architektonisches, etwas Gebautes an und in manchen älteren Werken wird Architektur als Bild-Motiv, wenn auch nur sehr reduziert und formelhaft in Gestalt von kubischen Häusern, die von der arabischen Baukunst inspiriert sein könnten, angedeutet. Muro, also Mauer, verweist wieder direkt auf Architektur. Es handelt sich hierbei um einen sprechenden Titel, denn die Bildoberflächen erinnern ganz direkt an grob verputztes Mauerwerk. Tatsächlich verwendet Hardy Gohari eingefärbte Spachtelmasse um diese Oberflächencharakteristik zu erzielen. Er trägt diese mittels Spachtel oder anderer Werkzeuge auf oder lässt die Masse einfach auf dem Bildgrund verlaufen. Hier wird besonders deutlich, dass es sich bei seiner Technik nicht um reine „Malerei“ handelt, es geht ihm um das plastische Gestalten von Bildoberflächen. Der erste Eindruck, den die Bilder aus der „Muro“-Serie beim Betrachter hinterlassen, wird von Farben und Flächen bestimmt. Der Künstler unterteilt die Bildfläche stets in wenige große rechteckige oder fast quadratische Farbfelder und breite Randstreifen. Häufig werden die Farbflächen noch durch auf die Bildfläche geritzte Linien konturiert oder gerahmt. Hardy Goharis Bilder besitzen sowohl optische als auch haptische Ausdrucksqualitäten. Die optische Wirkung geht unmittelbar von den verwendeten Farben aus. Die haptische, den Tastsinn ansprechende Dimension wird über die Struktur der Bildoberflächen vermittelt: Es sind nicht die mit Firniss überzogenen, glatten Oberflächen, wie man sie von Gemälden her kennt, es ist die stumpfe, raue, unregelmäßige, ja grobe Oberfäche des „Verputzes“, die den Betrachter sinnlich anspricht, die man mit der Hand ertasten möchte. Wenn das Bild, wie der Titel sagt, eine Mauer oder vielleicht einen Ausschnitt aus einer Mauer vorstellt, dann muss dies eine Mauer mit Geschichte sein: sie ist nicht akkurat und gleichmäßig verputzt, sie besitzt Spuren der Beschädigung, sie wirkt verwittert, über diese Mauer ist die Zeit hingegangen und Fremde habe ihre Spuren auf ihr hinterlassen. Ein charakteristisches Element von Hardy Gohari´s Kunst sind die graphischen Spuren, die sich auf allen Bildern als Zeichnungen oder Ritzungen wiederfinden. Diese graphischen Spuren bilden eine bildimmanente Struktur, sie gliedern die Bilder, geben ihnen ein feines, fragiles Gerüst. Die Liniensysteme sind keine wilde Kritzelei, keine unbedacht gesetzten Strichfolgen, auch keine Ècriture automatique, wie die Surrealisten das unbewusste Schreiben nannten. Nein, sie zeugen von einer bedachten rationalen Setzung und fügen sich oft zu geschlossenen Figuren. Sie nehmen klar Bezug auf die Farbflächen, zeichnen diese nach oder orientieren sich an ihnen. Innerhalb von größeren freien Farbflächen, erscheinen sie als autonome graphische Gebilde von großer Zartheit. Oft lassen sie Assoziationen zu: erinnern an technische Zeichnungen, etwa an Schaltpläne von Stromkreisen. D.h. diese graphischen Gebilde besitzen eine weitere, über das formale hinaus weisende Komponente: Sie erwecken den Eindruck einer Erzählung. Sie wirken wie die Spuren von Plänen oder Illustrationen, die vor langer Zeit einmal in die Wände geritzt wurden, deren Bedeutung und Sinn sich von den heutigen Betrachtern aber nicht mehr rekonstruieren lassen. Neben den graphischen Spuren erscheinen auf Hardy Goharis Bildern oft Zeichen, die vertraut sind, wie Pfeile, Kreuze, auch Zahlen oder Buchstaben kommen vor, Versatzstücke einer bekannten Symbolik. Doch die Zeichen scheinen nur auf den ersten Blick vertraut, in Wirklichkeit sind sie geheimnisvolle Symbole, die man eben nicht mehr mittels unseres kulturellen Codes entschlüsseln kann, deren Bedeutung sich nicht problemlos erschließen lässt. Das macht auch die eigentümliche Spannung dieser Bilder aus. Der Betrachter sucht nach den Botschaften / dem Sinn dieser kryptischen archaischen Spuren und ist ganz auf sich selbst zurückgeworfen. Manche dieser Linien graben sich ganz tief ein in den Bildgrund und bringen die unteren Schichten zum Vorschein. Die Ritzungen legen diese Bildschichten und damit ein Stück der Geschichte des Bildes frei. Das ist eine Art archäologischer Vorgang und sensibilisiert den Betrachter dafür, dass Hardy Gohari´s Bilder auch eine zeitliche sowie räumliche Dimension besitzen und nicht auf ihre Farb- und Oberflächenwerte zu reduzieren sind. Ich habe nun die konstitutiven Bildelemente benannt: die Schichtungen, die Farbflächen und die graphischen Spuren. Alle geben dem Betrachter Anreize, fordern ihn zur Auseinandersetzung auf, denn sie sind von ihrer Bedeutung her offen. Die Werke wirken wie archaische Felder, auf denen eine untergegangene, aber doch so seltsam vertraut wirkende Kultur ihre Spuren hinterlassen hat. Der Betrachter muss sich Fragen stellen: die Frage nach Zeitlichkeit, nach Räumlichkeit und der Bedeutung der Spuren. RAUMZEITSPUREN lautet der Werkzyklus und genau das sind sie auch. Hardy Gohari schafft eine Ausstellungssituation, die sich direkt auf den Raum bezieht und somit durchaus als Installation zu verstehen ist. Der durch die Stellwände geschaffene Ort für die Kunst schafft einen Raum im Raum, der sich aber nicht abschließt, sondern dem Besucher eine Vielzahl an „Annäherungsmöglichkeiten“ eröffnet. Ganz gleich von welcher Seite man sich nähert, stets ergeben sich neue Ansichten, kommen immer andere Werke in das Blickfeld des Betrachters. Und sofort wird klar, hier geht es nicht um eine konventionelle Präsentation von einzelnen Bildern, die isoliert für sich stehen. Dem Künstler geht es vielmehr darum, dass die Werke miteinander korrespondieren, zueinander in Beziehung treten, immer wieder anders und neu, je nachdem von wo der Besucher sich auf die Ausstellungssituation zubewegt, sie umkreist, sich in sie hineinbegibt. Dieses offene und spannende Ausstellungskonzept ermöglicht es dem Besucher dann auch, die Entwicklung der künstlerischen Arbeit nachzuvollziehen. Auch ganz neue Werke werden im Innenraum der Ausstellungssituation gezeigt. Es sind kleinformatige Arbeiten, die man schon als Raumobjekte bezeichnen könnte, denn anders als Werke aus der Serie „Muro“, die ja stets ihre Zweidimensionalität, also ihren Bildcharakter, beibehalten, sind diese backsteingroßen „Stücke“, obwohl sie wie Bilder an der Wand angebracht werden, schon kleine Plastiken. Backstein, Mauer- hier schließt sich der Kreis oder setzt sich die Entwicklung fort. Hardy Gohari bleibt sich treu und verfügt doch über ein großes künstlerisches Entwicklungspotential. Dieses spürt man in unmittelbarer Auseinandersetzung mit den Werken. |
